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Der_Seher

Benjamin Graham und defensiver Investor: Anpassung des moderaten KGVs

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Der_Seher

Servus miteinander,

 

ich beschäftige mich gerade mit den Auswahlkriterien von Aktien nach Benjamin Graham für einen defensiven Investor (Kapitel 14 im Buch "Intelligent investieren") und bin da auf ein interessantes Thema gestoßen, dass ich gern diskutieren möchte. Aber zuerst will ich mal mein Verständnis kurz darstellen - vielleicht liege ich ja auch da falsch:

 

In dem Kapitel werden von Graham 7 Kriterien für die Aktienauswahl angegeben, unter anderem das "Moderate KGV". Diese sagt aus, dass das KGV nicht höher als 15 aus dem Durchschnitt der Gewinne der letzten 3 Jahre sein soll. Soweit so gut und hab ich verstanden. Das ist auch das was auf sämtlichen Webseiten dazu geschrieben wird. Aber wenn man das Kapitel mal richtig und vollständig durchliest, dann komme ich auf ganz andere Schlussfolgerungen: Graham stellt das KGV der Anleiherenditen gegenüber, in der er sagt, dass das Gewinn-Kurs-Verhältnis einer Aktie (Ergebnis je Aktie geteilt durch Börsenkurs) mindestens der Rendite für Industrieanleihen mit AA-Rating und 10 Jahren Laufzeit entsprechen soll. Damals waren die Anleiherenditen bei 7,5 %, so dass Graham auf ein KGV von 13,3 (Berechnung: 1 / 7,5% = 13,3) gekommen ist. Nachdem Graham als Maximum für das KGV noch 20 % Zuschlag darauf gerechnet hat, kommt er auf ein maximales KGV von rund 15 (Berechnung: 13,3 * 1,2 = 15,96). Nachdem immer wieder, unter anderem auch von Jason Zweig in seinen Kommentaren, angemerkt wird, dass die Kriterien auf die aktuelle Marktlage angepasst werden müssen, habe ich das hier auch mal gemacht: Die Rendite für Industrieanleihen mit AA-Rating und mind. 10 Jahren Laufzeit beträgt per 25.06.2015 gerade mal 1,906 % (Corporate Bonds AA 10y). Wenn ich diese Rendite analog anwende, dann komme ich auf ein KGV von 52,5 (Berechnung: 1 / 1,906% = 52,466). Das würde ja heissen, allein deswegen schon alle Aktien Potential für eine Unterbewertung haben und das KGV ja weit über das aktuelle Durchschnitts-KGV des Marktes hinausschießt.

 

Kann das sein? Habe ich hier einen Denkfehler oder habe ich diesen Sachverhalt falsch verstanden? Oder liegt es einfach an der aktuellen Lage des Kapitalmarktes und der Niedrigzinsen, die ja an sich schon eine Ausnahmesituation darstellen ...

 

Wäre um Euer Feedback und Diskussionen dankbar.

 

Vielen Dank schon mal!

 

Viele Grüße

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Der Pate

An sich hast du alles richtig beschrieben. Aber der Vergleich von Aktien- mit Anleihenrenditen ist eben nur ein Weg, Aktien zu bewerten und bei Niedrigzinsphasen, wie wir sie jetzt haben, wird die Bewertung eben übertrieben. Was wäre z.B. wenn man nur noch negative Zinsen bekommen könnte, dann könnte man Aktien nach dieser Methode nicht mehr bewerten.

Deswegen empfehle ich, zumindest bei der derzeitigen Zinslage, Aktien nicht mit AAA-Anleihen zu vergleichen. Besser ist es, die potentielle Rendite des Unternehmens zu berechnen.

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Sapine

Mit der aktuellen Rendite zu rechnen ist sehr gefährlich, weil Du die Übertreibungen am Rentenmarkt damit auf die Aktien überträgst. Dennoch macht eine Korrektur durchaus Sinn wenn Du z.B. der Überzeugung bist, dass die 7,5 % bei Graham nur noch historischen Wert haben und für Deinen Lebenszyklus keine reale Größe sein wird.

 

Nach meiner Einschätzung wird die aktuelle Aktienhausse nicht zuletzt davon getrieben, dass die Anleiherenditen derart stark abgesunken sind. Insofern trägt der Markt Deiner Überlegung zumindest teilweise Rechnung. Bei KGVs jenseits von 40 würde ich definitiv über Ausstiegsszenarien nachdenken und nicht an fair bewertete Aktien.

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Stockinvestor

Du siehst das schon vollkommen richtig.

 

If these interest rates were to continue for 10 years, stocks would be extremely cheap now,” Buffett told CNBC this week. But if rates normalize, stocks valuations would be on the high side, he added. Buffett also said that stocks are cheaper than bonds, which are “very overvalued. … If I had an easy way, and a nonrisk way, of shorting a lot of 20-year or 30-year bonds, I would do it. But that’s not my game. It can’t be done in the quantity that would make sense for us.” Buffett said he’s not sure what will happen with interest rates. But he thinks that if Europe keeps up its quantitative easing bond-buying program, the Federal Reserves should be very cautious about raising rates in the US. “If you have negative rates in Europe, I think there a lot of consequences to raising rates significantly here,” he said.

 

Ich denke damit ist alles gesagt.

 

Normalerweise schätzt man einen Preis zu den man kaufen will ab. Jeder hat da seine eigene Methode. Gemeinsam ist, dass man dann darauf eine Sicherheitsmarge gibt. Kleinanleger kaufen oft nach Bauchgefühl, KGV oder Empfehlung (Aktientipps).

 

Da ich nicht weiß, wie sich die Zinsen entwickeln werden, ob sie angehoben werden und wenn ja, wie viel, gehe ich mit der Sicherheitsmarge recht lax um. Folge: Ich akzeptiere deshalb höhere KGVs als üblich, sofern meine geforderte Rendite erreicht wird.

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Stockinvestor

Da Du gerade den Intelligenten Investor liest, solltest Du das hier über Charlie Munger mal lesen, um den Benjamin-Graham-Weg besser einschätzen zu können.

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Der_Seher

Danke an alle für die schnellen und guten Antworten.

@ Stockinvestor: Danke für den Link. Kenn die Seite zwar, aber den Artikel kannte ich noch net. :-)

 

 

Damit bestätigt ihr meine Vermutung, dass es aktuell mehr oder weniger an der aktuellen Niedrigzinsphase liegt. Damit schließe ich auch darauf, dass aufgrund der Ausnahmesituation ein Vergleich von Gewinn-Kurs-Verhältnis von Aktien mit Anleiherenditen hingt. Vor allem wenn man die Entwicklung der Zinsen in den letzten 30 Jahren mal anschaut, dann sind die Zinsen tendenziell immer gefallen, auch wenn es Zyklen mit steigenden Zinsen gab. Das zeigt allein schon ein Vergleich der Anlagezinsen bei Banken: Während 1990 noch Zinsen für 10-Jährige Kapitalanlagen von 8 % - 9 % gezahlt wurden, waren diese 15 Jahre später bei 5 % - 6 % und aktuell bekommt man für sein Geld auf 10 Jahre zwischen 1 % und 2 %. Grahams Anpassungsformel für das "Moderate KGV" wirkt eigentlich nur, wenn sich die Zinsen in einer bestimmten Bandbreite bewegen, und diese keine Aufwärts- oder Abwärtstendenzen zeigt. Damit fällt im Endeffekt die Anpassung des "Moderaten KGVs" nach Graham's Methode völlig aus, vor allem in der aktuellen Lage am Bondmarkt.

 

Andererseits finde ich es notwendig, das "Moderate KGV" an die aktuelle Situation anzupassen, denn je nach Börsenphase sind die Unternehmen nicht immer fair bewertet (ja, ich folge ganz dem Motto der Value Investoren, dass ich von der "Efficient Market Hypothesis" nach Fama nix halte). Deshalb sehe ich es eher angemessen, das "Moderate KGV" von 15 nach eigenem Ermessen geringfügig nach oben oder unten anzupassen, je nachdem wie die generelle Bewertung der Unternehmen ist. Und dabei orientiere ich mich an dem durchschnittlichen KGV der Märkte. Nach einer Studie von JP Morgan Cazenove liegt das durchschnittliche KGV der Dax-Aktien per April 2015 bei 14,5. In den Hochzeiten der Dotcom-Blase war die Bewertung beim Faktor 26,3 und nach der Finanzkrise unter einem KGV von 8. Damit ist man eigentlich mit einem Moderaten KGV von 15 bei der aktuellen Marktlage doch relativ gut bedient und kann damit arbeiten.

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Stockinvestor
· bearbeitet von Stockinvestor

Gesamtmaktbetrachtungen (DAX) dürften meiner Meinung hauptsächlich für den interessant sein, der auch den Gesamtmarkt kauft.

 

Einen Rückschluss, weil der DAX bei 17,3 (den Wert habe ich heute Morgen irgendwo gelesen) steht, ist meine Aktie bei einem KGV von 14,7 günstig, sollte man nicht ziehen, da bei der Preisfindung immer auch das Gewinnwachstum miteinbezogen werden sollte.

 

Daraus folgt:

Für ein höheres Wachstum muss man auch bereit sein einen höheres KGV zu akzeptieren.

Und umgekehrt: Für wenig oder kein Wachstum ein niedrigeres KGV.

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Der_Seher

Da gebe ich dir absolut recht: nur weil mein KGV unter dem Durchschnitt des Markt-KGVs liegt, ist das Unternehmen noch immer nicht billig. Auch was das KGV in Bezug auf das Wachstum angeht, sehe ich das auch so. Ich denke aber mit einer Anpassung des "Moderaten KGVs" eher an die Finanzmarktkrise, wo das durchschnittliche KGV um den Faktor 8 pendelte. Da würde ich nicht ein "Moderates KGV" von 15 anwenden, sondern würde diesen auf, sagen wir mal, 12 anpassen. Denn Ziel ist ja damit wirkliche stabile Unternehmen zu finden, die unter dem Substanzwert notieren, aber doch ertragsstark sind.

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Der Pate

Warum versuchst du nicht, den Wert des Unternehmens (und nur den Wert, nicht das Geschäftsmodell) isoliert zu betrachten, anstatt eine Hierarchie mit anderen Unternehmen bzw. mit Anleihen aufzubauen?

Damit läufst du erstens nicht Gefahr, überbewertete Unternehmen mit überbewerteten Unternehmen/Anleihen zu vergleichen und zweitens weißt du nach Abschluss der Analyse direkt, ob dir die zukünftige Rendite ausreicht. Wenn nicht, wartest du eben auf einen dir zusprechenden Preis oder suchst nach anderen Unternehmen.

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