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Thomas

Hallo.

Hier ein interessanter EuramS-Artikel:

 

Die Franzosen entscheiden heute über die EU-Verfassung. Was eine Absage für den Euro und die Kapitalmärkte bedeutet

Die Chinesen sind an allem schuld. Oder eigentlich doch die EU. Egal - den Franzosen reicht es mit der Globalisierung im weiteren Sinne und Europa im engeren Sinne. 243 Millionen T-Shirts hat China bis Ende April in die EU exportiert - knapp 200 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Hosen, Pullover, Mäntel - Asien-Klamotten überschwemmen Europa.

 

7000 Stellen könnten allein in diesem Jahr in Frankreichs Textilindustrie durch die China-Importe verloren gehen. "Für unsere Unternehmen, die diese Produkte herstellen, ist die Situation sehr ernst", sagte Industrieminister Patrick Devedjian. Und wirbt gleichzeitig für ein Ja der Franzosen zur EU-Verfassung. Da lacht der Textilarbeiter - verbittert. Für ihn sitzen die Schuldigen in Brüssel. Denn die EU hat zum 1. Januar 2005 alle Importbeschränkungen für Textilien aus China aufgehoben. Den Bürokraten in der EU-Zentrale mit der Zustimmung zur Verfassung noch mehr Macht geben? Kommt nicht in Frage.

 

Die Ablehnung der Verfassung könnte Folgen haben für den weiteren Einigungsprozess in der EU, für den Euro und die Kapitalmärkte. Die Devisenhändler schickten den Euro in der vergangenen Woche schon mal vorsorglich runter auf die Marke von 1,25 Dollar, ein Sieben-Monats-Tief. "Wenn Frankreich mit nein stimmt, dann verliert die Europäische Union 20 Jahre", warnt Luxemburgs EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker.

 

Wer ist auf der Verliererseite? Die EU verliert Jahrzehnte. Doch wer sind Verlierer und Gewinner auf den Märkten? Die Antworten könnten unterschiedlicher nicht sein. Von "eine Ablehnung der Verfassung wäre für Waren- und Kapitalmärkte kein Beinbruch", wie es Jörg Krämer, Chefvolkswirt der HypoVereinsbank im EURO-Interview sieht, bis zum Abgesang auf Europas Einheit reicht die Spannweite der Meinungen.

 

Wolfgang Pflüger, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, nennt im Gespräch mit EURO das Worst-Case-Szenario: "Sollten die Franzosen mit nein stimmen und sich der Schuldenstand in den Euro-Ländern weiter verschlechtern, ist ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone nicht auszuschließen. Genau wegen dieser Gefahr verliert der Euro an Wert. Unter institutionellen Anlegern herrscht Unsicherheit. Denn langfristig erhöhen sich mit einem Nein zur stärkeren Zentralmacht in Brüssel die politischen Risiken. Die ausstehenden Entscheidungen in den Niederlanden, Dänemark, Irland, Portugal und Großbritannien würden abgesagt werden oder wären bedeutungslos. Ein Nein der Franzosen wäre nach Ansicht der meisten Experten das Aus für eine einheitlichere Wirtschaftspolitik der Europäer. Denn genau die wollen die Franzosen nicht.

 

Was Franzosen alles nicht wollen. Viele Entscheidungen über die Rahmenbedingungen für Europas Märkte würden nach Brüssel verlagert. Die Verfassung öffnet den Weg zu einheitlichen Arbeitsgesetzen, zu einer stärkeren überregionalen EU-Aufsicht über nationale Gesetzgebung, Bilanzierung, Wettbewerbsrecht bis zur Außenpolitik. Zwar hat wohl kaum ein Franzose das 493 Seiten-Werk gelesen, aber die Ablehnung gegen soviel Fremdbestimmung ist in Frankreich mehrheitsfähig. Zu Beginn des Wochenendes wuchs bei letzten Umfragen die Mehrheit der Ablehner noch einmal auf 54 Prozent. Damit wäre auch ein Urteil über die EU-Beitrittsambitionen der Türkei gesprochen worden. Die Konvergenzphantasie wäre endgültig raus aus dem türkischen Aktienmarkt.

 

Doch das Non bringt auch Chancen.

Genau die Märkte und Unternehmen, die beim derzeitigen Zustand der EU eine starke Performance liefern, könnten den Wettbewerb um mehr Wachstum weiter anfachen. Sie müssen nicht befürchten, in ein einheitliches Korsett an hohen Steuern und sonstigen Vorschriften gezwungen zu werden.

 

William Davies, Experte für Europa-Aktien bei Threadneedle in London, sieht die Gewinner der EU-Vollbremsung deshalb in Osteuropa. Die "Konvergenzländer würden weiterhin von den Vorteilen des freien Handels profitieren, ohne ihre flexiblen Arbeitsgesetze gegen Regeln, die ihnen von der EU-Verfassung vorgeschrieben würden, eintauschen zu müssen." Keine guten Aussichten für Frankreichs Stimmung.

 

Märkte wollen mehr Wachstum in Europa

 

Der neue Chefvolkswirt der HypoVereinsbank sieht in einem Nein der Franzosen zur EU-Verfassung keinen Beinbruch. Es ist Aufgabe der Politiker, den Willen zu mehr Marktwirtschaft in Europa zu vermitteln, sagt Jörg Krämer.

 

Euro am Sonntag: Die Entscheidung der Franzosen zur EU-Verfassung steht an. Wagen Sie einen Tipp?

 

Jörg Krämer: Die Ablehnungsfront liegt leicht in Führung. Aber das Rennen ist noch offen. Durch die Ereignisse in Deutschland hat das Referendum an Brisanz gewonnen. Die CDU steht einer türkischen EU-Vollmitgliedschaft kritisch gegenüber.

 

Euro: Was bedeutet ein Nein der Franzosen?

 

Krämer: Erst mal bedeutet eine Ablehnung durch die Franzosen nicht das endgültige Aus für eine europäische Verfassung. Vieles kann wie bisher auf Regierungsebene beschlossen werden. Die EU hat schon viele Krisen gemeistert.

 

Euro: Es gibt Stimmen, die sagen, der europäische Einigungsprozess wäre damit gestoppt.

 

Krämer: Nein. Europa wird wirtschaftlich weiter zusammenwachsen - aber vermutlich nicht mit demselben Tempo.

 

Euro: Fürchten sich die Franzosen vor verschärftem Wettbewerb innerhalb der EU?

 

Krämer: Das Gefühl, das Ganze sei unsozial, ist in Frankreich spürbar. Daniel Cohn-Bendit hat gesagt: Die Franzosen begreifen jetzt, daß die EU kein erweitertes Frankreich ist. Aber zum Teil ist der Protest berechtigt. Es macht durchaus Sinn, die jüngsten Erweiterungen nach Osteuropa erst einmal zu verdauen.

 

Euro: Die Osteuropäer wachsen stark und werden als Bedrohung empfunden, als Marktradikale.

 

Krämer: Mal was Provokantes: Ich wäre glücklich, wenn sich Ostdeutschland so entwickeln würde. An den Steuersystemen mit gesenkten direkten Steuern und erhöhten Verbrauchssteuern kann sich Deutschland unter Wachstumsgesichtspunkten ein Beispiel nehmen.

 

Euro: Würde ein Nein der Franzosen die Fortsetzung der Wachstumsstory in Osteuropa behindern?

 

Krämer: Das ist nicht aufzuhalten. Wir werden weiter einen wachsenden Austausch von Gütern, Kapital und Arbeitnehmern haben. Wir profitieren davon, auch wenn einige Branchen leiden, etwa der Bau. Aber die klassische Industrie kommt mit dem Anpassungsdruck gut zurecht, sie ist den internationalen Wettbewerb gewöhnt.

 

Euro: Die Defensivstimmung in Frankreich und der Reformstau in Deutschland: was bedeutet das für die Währungsunion?

 

Krämer: Die Länder entwickeln sich sehr unterschiedlich, zum Beispiel wachsen Irland und Spanien seit Jahren stärker als andere Länder. Aber diese regionalen Unterschiede haben wir auch innerhalb Deutschlands zu Zeiten der D-Mark gehabt. Die Währungsunion wird das aushalten.

 

Euro: Was heißt das für die Zinspolitik der EZB?

 

Krämer: Die als hoch wahrgenommenen Wachstumsunterschiede machen es der EZB schwer, die Zinsen zu erhöhen. Wir rechnen 2005 nicht mehr mit einer Zinsanhebung.

 

Euro: Wie werden die Börsen auf ein Non der Franzosen reagieren?

 

Krämer: Das hängt von der Politik ab. Wir erwarten, dass die Politiker deutlich machen, dass sie die wirtschaftliche Integration fortsetzen wollen.

 

Euro: Stichwort Wachstum: Was bedeutet der Verfassungsentscheid Frankreichs für den Steuerwettbewerb in Europa und den Wettbewerb der Sozialsysteme?

 

Krämer: Ich sehe ein Nein eher als Aussage gegen Steuerwettbewerb und gegen marktwirtschaftliche Projekte. Aber Osteuropa beispielsweise wird sich nicht auf die Systeme der alten EU-Staaten festlegen lassen.

 

Autor: SmartHouseMedia (© wallstreet:online AG / SmartHouse Media GmbH),09:59 29.05.2005

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