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TheCharlieMunger

Vorabpauschale als präventive Wegzugsbesteuerung

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TheCharlieMunger

Hallo Forum,

 

mich interessiert eure Einschätzung zu folgender Thematik, die für viele junge Menschen mit ETFs perspektivisch relevant werden könnte.

 

Mit der Steuer auf die Vorabpauschale werden fiktive Dividendenausschüttungen thesaurierender Fonds besteuert, wodurch der Zinseszinseffekt beeinträchtigt wird. Damit eine Steuer anfällt, muss (1) der Wert des Fonds im betrachteten Kalenderjahr gestiegen sein und (2) der Basiszins positiv sein. Folgendes Beispiel zeigt, dass sich diese Steuer über einen langfristigen Anlagehorizont zu einer hohen Summe aufaddiert, wenn man einen konstanten Zins und einen konstanten Wertzuwachs des Fonds über einen langen Investitionszeitraum (z.B. 40 Jahre) annimmt (unter der Annahme, dass es die Steuer in 40 Jahren noch gibt).

 

Man investiert 100.000€ in einen solchen Fonds, welcher über die nächsten 40 Jahre in jedem Jahr eine Rendite von 7% erwirtschaftet. Dabei bleibt der Zinssatz konstant bei 2%. Die Anteile haben am Ende des Zeitraums einen Wert von fast 1.500.000€ und die Summe an Steuern auf die Vorabpauschale beträgt ca. 50.000€. Wenn man diese Steuerzahlungen mit dem konstanten Zins von 2% abzinst, sind diese 50.000€ heute ca. 32.000€ wert. In diesem Beispiel vereinnahmt die Steuer auf die Vorabpauschale jedes Jahr 0,26% (!) des gesamten Investitionsvermögens.

 

Dieses Szenario ist natürlich stark vereinfacht und unrealistisch. Wenn der Aktienmarkt in einem Kalenderjahr nicht steigt und/oder der Basiszins nicht positiv ist, fällt in entsprechendem Jahr keine Steuer auf die Vorabpauschale an. Außerdem fällt unter Konstanthaltung des Zinses und der Rendite die in Summe gezahlte Steuer bei längerem Anlagehorizont und/oder höherem Investment (deutlich) höher aus als in diesem Beispiel.

 

Der Gesetzgeber sieht vor, dass die gezahlte Steuer auf die Vorabpauschale mit der Kapitalertragsteuer beim Verkauf der Anteile verrechnet wird. Was passiert nun, wenn man vor dem Verkauf der Anteile auswandert und diese somit nicht in Deutschland versteuert?

 

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Steuer auf die Vorabpauschale in diesem Fall einbehalten und somit zu einer de facto präventiven Wegzugsbesteuerung wird. Entweder man veräußert die Anteile in Deutschland und zahlt hier die dafür anfallenden Steuern mit Abzug der bereits geleisteten Steuer auf die Vorabpauschale oder der gesamte angesammelte „Steuerkredit“ durch die Vorabpauschale verfällt und wird damit wertlos. Damit vermindert sich der Anreiz auszuwandern nicht linear, sondern immer stärker mit zunehmendem Anlagehorizont, da die Steuer auf die Vorabpauschale (bei konstantem Wertzuwachs und Zins) im Laufe der Zeit immer höher ausfällt. Aus Sicht des deutschen Staates ist es natürlich nachvollziehbar, einen Wegzug mit zunehmender Wertsteigerung der Anteile im Laufe der Zeit immer unattraktiver zu gestalten.

 

Aus zwei Gründen glaube ich, dass der langfristige Effekt der Vorabpauschale von vielen Anlegern aktuell noch unterschätzt wird.

 

(1) Obwohl die Vorabpauschale 2018 mit der Investmentsteuerreform eingeführt wurde, hat sie aufgrund der Negativzinsen erst im Januar 2024 erstmalig Anwendung gefunden.

 

(2) Es dauert einige Jahre bzw. Jahrzehnte bis die Steuer richtig spürbare Auswirkungen hat und das Investieren in Indexfonds ist in Deutschland erst seit Kurzem in der breiten Bevölkerung angekommen.

 

Das bedeutet, dass aktuell nur sehr wenige Menschen bedeutende Summen an Steuern auf die Vorabpauschale geleistet haben bzw. einen hohen Steuerkredit haben. Von diesen wenigen Personen sind vermutlich wenige in 2024/2025 ausgewandert (vielleicht niemand?). Diesen Fall wird es in Zukunft jedoch mit Sicherheit geben und wahrscheinlich werden Gerichte darüber entscheiden, ob ein (sehr hoher) Steuerkredit bei Wegzug ersatzlos gestrichen werden kann.

 

Vielen Dank für eure Meinung zu dem Thema.

 

Mit besten Grüßen

TheCharlieMunger

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Ramstein

Wenn man in ein Land auswandert, in dem Kursgewinne (in o. G. Beispiel 1.400000) steuerfrei sind, spart man da. 350.000. Rechnet sich also.

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chirlu
vor 2 Stunden von TheCharlieMunger:

Der Gesetzgeber sieht vor, dass die gezahlte Steuer auf die Vorabpauschale mit der Kapitalertragsteuer beim Verkauf der Anteile verrechnet wird.

 

Nein, sondern der steuerpflichtige Gewinn aus dem Verkauf wird um die Vorabpauschale gemindert. Damit beantwortet sich deine folgende Frage von selbst. Und deine Vorstellung von einem „Steuerkredit“ erledigt sich ebenfalls.

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Rotenstein
vor 8 Stunden von TheCharlieMunger:

Der Gesetzgeber sieht vor, dass die gezahlte Steuer auf die Vorabpauschale mit der Kapitalertragsteuer beim Verkauf der Anteile verrechnet wird. Was passiert nun, wenn man vor dem Verkauf der Anteile auswandert und diese somit nicht in Deutschland versteuert?

 

Der Staat behält dein Geld, wenn du den ETF nicht verkaufst und somit keine Anrechnung auf die Kapitalertragsteuer erfolgen kann. Dennoch lohnt sich eine Auswanderung in Länder, die Kursgewinne nicht besteuern, weiterhin. Jeder, der jung ist, etwas drauf hat und Vermögen aufbauen will, sollte ohnehin darüber nachdenken, ob er noch in Deutschland und ähnlich ausgerichteten Ländern mit hohen Steuern und ausuferndem Sozialstaat richtig ist. 

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Hamster92

Ich sehe da keine Benachteiligung.

 

Thesaurierende Fonds sind gegenüber ihren ausschüttenden Kollegen steuerlich gesehen immer noch im Vorteil, weil nur ein Teil der (fiktiven) Ausschüttung mit der Vorabpauschale versteuert wird.

 

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s1lv3r
vor 2 Stunden von Hamster92:

Ich sehe da keine Benachteiligung.

 

Thesaurierende Fonds sind gegenüber ihren ausschüttenden Kollegen steuerlich gesehen immer noch im Vorteil, weil nur ein Teil der (fiktiven) Ausschüttung mit der Vorabpauschale versteuert wird.

 

Amen - das Ziel des Gesetzgebers mit der Vorabpauschale war eine Ungerechtigkeit im Steuersystem zu beheben und dafür zu sorgen, dass Thesaurierer steuerlich gleich (oder zumindest annähernd gleich) wie Ausschütter behandelt werden.

 

Warum hier immer wieder Threads auftauchen, in denen die Vorabpauschale mit Hilfe irgendwelcher kruden Verschwörungstheorien und mentaler Verrenkungen zur großen Ungerechtigkeit heraufstilisiert wird ergibt sich mir wirklich nicht ...

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monstermania
Am 22.6.2025 um 08:09 von Rotenstein:

Jeder, der jung ist, etwas drauf hat und Vermögen aufbauen will, sollte ohnehin darüber nachdenken, ob er noch in Deutschland und ähnlich ausgerichteten Ländern mit hohen Steuern und ausuferndem Sozialstaat richtig ist. 

Und wenn es dann nicht klappt, mit dem Vermögensaufbau, kann man später wieder zurück in den 'ausufernden' Sozialstaat. :rolleyes:

Ich habe in meinem erweiterten Bekanntenkreis einige Spezis, die nach 30-40 Jahren Selbstständigkeit darüber sinnieren, ob Ihre Selbstständigkeit wirklich der richtige Weg war. Mit dem eigenen Vermögensaufbau hat es dann doch nicht so geklappt wie gewünscht, bzw. wurden die notwenigen Summen für das sorgenfreie Leben im Alter massiv unterschätzt.

Gut, dass es den Sozialstaat gibt, zumindest für diese Klientel. 

 

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migieger
Am 22.6.2025 um 02:10 von chirlu:

 

Nein, sondern der steuerpflichtige Gewinn aus dem Verkauf wird um die Vorabpauschale gemindert. Damit beantwortet sich deine folgende Frage von selbst. Und deine Vorstellung von einem „Steuerkredit“ erledigt sich ebenfalls.

Und wenn man, aus welchen Gründen auch immer, mit Verlust verkauft/verkaufen muß, hat man zum Verlust auch noch Steuern bezahlt?
Oder gibt's die dann zurück?
 

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stagflation

Verluste aus einem ETF-Verkauf werden mit anderen Gewinnen verrechnet und mindern dort die Steuern. Insofern bekommt man die Steuern zurück - aber nur, wenn man auch Kapitalanlegen hat, mit denen man Gewinne erzielt.

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migieger
· bearbeitet von migieger
vor 2 Stunden von stagflation:

Verluste aus einem ETF-Verkauf werden mit anderen Gewinnen verrechnet und mindern dort die Steuern.

Ja, das ist bekannt.

vor 2 Stunden von stagflation:

Insofern bekommt man die Steuern zurück - aber nur, wenn man auch Kapitalanlegen hat, mit denen man Gewinne erzielt.

Das ist mir neu. Gezahlte Vorabpauschale mindert die Steuer auch auf andere Kapitalanlagengewinne - nicht nur auf die für spezifischen ETFs bezahlte Vorabpauschale. Habe ich das richtig verstanden?

Beispiel:
ETF A verursacht Vorabpauschale.
ETF B verursacht auch Vorabpauschale.
ETF A wird mit Verlust verkauft.
ETF B wird mit Gewinn verkauft.
Gewinn B wird um Verlust A reduziert.
Gewinn B minus Verlust A verursacht Kapitalertragssteuer.
Diese Kapitalertragssteuer wird um die bezahlte Vorabpauschale A und Vorabpauschale B reduziert.
Richtig?


 

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Sapine

Im Ergebnis ja, wenn auch die Reihenfolge etwas anders abläuft. Beim Verkauf von A wird die besteuerte Vorabpauschale von A berücksichtigt. Der Verlust fällt also höher aus. Bei der Ermittlung des Gewinns von B wird die besteuerte Vorabpauschale von B berücksichtigt, was den Gewinn mindert. Die meisten inländischen Banken nehmen dann eine automatische Verrechnung vor. 

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stagflation
· bearbeitet von stagflation

Betrachten wir zwei Beispiele:

  1. Man kauft einen Fonds für 2.000 € und verkauft ihn für 3.000 €. Ohne Vorabpauschalen ist der steuerliche Ertrag 1.000 €. Wenn zwischenzeitlich noch 50 € Vorabpauschalen berechnet wurden, ist der steuerliche Ertrag 950 €.
  2. Man kauft einen Fonds für 2.000 € und verkauft ihn für 1.500 €. Ohne Vorabpauschalen ist der steuerliche Verlust 500 €. Wenn zwischenzeitlich noch 50 € Vorabpauschalen berechnet wurden, ist der steuerliche Verlust 550 €. Der steuerliche Verlust wird mit anderen Gewinnen verrechnet oder wandert in den Verlusttopf.

Man kann es sich so merken: die Steuer auf die Vorabpauschale ist keine zusätzliche Steuer, sondern eine vorgezogene Steuer.

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migieger

Danke @stagflation, @Sapine

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tomricht
· bearbeitet von tomricht

Die Fondsbesteuerung ändert sich ca. alle 7 Jahre (grobe Beobachtung der letzten 30 Jahre; bitte nicht als strenge Regelmäßigkeit verstehen). Daher sind solche Überlegungen über 40 Jahre praktisch nicht relevant. Wir werden sicher in den nächsten Jahren Steuererhöhungen sehen; dann kommt auch wieder die Forderung auf, die "Reichen" müssten sich beteiligen. Natürlich geht man den Reichen nicht ans Geld, so dass dann wieder eine "Reform" der Kapitalertragssteuer dabei heraus kommt.

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