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Maciej

Wie hoch ist die Belastung der Banken durch den negativen Einlagesatz tatsächlich?

Empfohlene Beiträge

Maciej

In einem anderen Thread ist zum Thema Negativzinsen auf dem Tagesgeldkonto eingeworfen worden, die Banken reichen nur die Kosten durch den negativen Einlagesatz der EZB an die Kunden weiter, weil die das Problem mit ihren Einlagen angeblich verursachen. Mir scheint das (zumindest in Gänze) nicht so richtig stichhaltig, weshalb ich die Problematik aus Interbankensicht hier gern gesondert diskutieren würde.

 

Die relevanten Beiträge zur bisherigen Diskussion:

Am 11.3.2021 um 00:07 von Maciej:

Diese Einlagen auf den Konten der EZB betreffen aber nicht die Giralgeldguthaben der Kunden, sondern nur die Mindestreserve (wobei die sogar komplett von den Einlagezinsen ausgenommen zu sein scheint) und die Überschussreserven. Mit Einführung des Staffelzinses 2020 gibt es hier aber hohe Freibeträge, die überhaupt nur durch sehr gut kapitalisierte Banken überschritten werden dürften. Zitat aus dem Artikel:

Zitat

Die Banken erhalten damit einen Freibetrag, auf den sie keine Negativzinsen zahlen müssen. Von den Strafzinsen nimmt die EZB künftig das Sechsfache der obligatorischen Mindestreserve aus. [...] Der Betrag, auf den die Banken Strafzinsenzahlen müssen, wird damit deutlich geringer. Für die deutschen Banken bedeutet das konkret, dass sie auf etwa 180 Milliarden Euro Überschussliquidität künftig keine Negativzinsen zahlen müssen.

Aus meiner Sicht ist die Begründung der Negativzinsen für Kundeneinlagen mit den negativen Einlagezinsen der EZB deshalb ein reines Blendwerk der Banken, zumindest in der Höhe. Wenn man mal konservativ 10% Zentralbankgelddeckung für alle Giralgeldeinlagen unterstellt (der Mindestreservesatz beträgt aktuell 1% im Euroraum), dürfe das Verwahrentgelt für die Kunden maximal 0,05% betragen, damit die Banken ihre Kosten bei der EZB decken könnten. Praktisch wird es wohl noch weit weniger sein.

 

Am 11.3.2021 um 00:56 von stagflation:

Es geht nicht um Mindestreserven, sondern um Überschussliquidität.

 

Wenn ein Kunde von einer anderen Bank 100.000 € auf sein Giro- oder Tagesgeld-Konto überweist, dann kommen die 100.000 € bei der Bank auf dem Zentralbankkonto der Bank an (Ergebnis des Clearings). Die Bank kann es dort liegen lassen und muss dann für den Gesamtbetrag entsprechende Negativ-Zinsen zahlen (abzüglich gewisser Freibeträge und Staffelzinsen).

 

Alternativ hat die Bank hat folgende Möglichkeiten:

  • Die Bank kann versuchen, das Geld bei Konten bei ihren Partnerbanken zu parken - und muss dort vermutlich auch negative Zinsen zahlen. Die wollen das Geld nämlich auch nicht! Außerdem hat sie dort ein Ausfallrisiko.
  • Die Bank kann versuchen, das Geld in Geldmarktprodukte zu investieren. Leider gibt es auch da negative Zinsen.
  • Die Bank kann versuchen, das Geld an jemanden zu verleihen, der gerade Geld braucht. Das ist ja das eigentliche Kredit-Geschäft der Bank! Leider läuft das Kreditgeschäft zurzeit aber auch nicht gut, weil Banken beim Verleihen von Geld zurzeit nur Mini-Zinsen bekommen. Außerdem können Banken nur einen Teil der kurzfristigen Kundeneinlagen längerfristig verleihen. Banken müssen damit rechnen, dass Kunden ihre Guthaben abheben.
  • Die Bank könnte das Geld in Banknoten eintauschen und in einem Tresor speichern. Leider erzeugt das Kosten.

Was soll die Bank also mit dem Geld machen? Die einfachste Möglichkeit ist, die Kunden mit hohen Einlagen zu überzeugen, ihre Einlagen zu reduzieren. Das ist das, was die Banken gerade machen. Die nächste Möglichkeit ist, die Kunden an den Kosten zu beteiligen. Auch das ist ein Ziel des Verwahrentgelts. Ich finde das absolut nachvollziehbar.

 

Zunächst mal zu den Zahlen: Die Überschussreserven der Euro-Banken betrugen Ende 2020 ca. 2,8 Bio. EUR. Für die Betrachtung der Geldmenge scheint M2 relevant zu sein, da hier alle kurz- und mittelfristig fälligen Einlagen der Kunden enthalten sind. Das waren 13,7 Bio. EUR. Davon abzuziehen ist der Wert des umlaufenden Bargelds, also ca. 1,4 Bio. EUR. Wenn man jetzt also mal sämtliche Freibeträge durch den Staffelzins außer Acht lässt, kommt man auf ein Verhältnis von Überschussreserven zu Sichteinlagen von 22,7%. Das wäre schon mal deutlich mehr als die zunächst angenommenen 10%, aber trotzdem weniger als 1/4 der Kundeneinlagen.

 

Interessant wäre jetzt noch zu wissen, wie hoch die Freibeträge hier aktuell sind. Ich konnte leider keinen aktuellen Wert zu den Mindestreserven finden. Da der Mindestreservesatz 2012 von 2% auf 1% gesenkt wurde, schätze ich das Verhältnis Giralgeld zu Mindestreserve mal mit dem Faktor 50-100, d.h. bei 12,3 Bio. EUR Einlagen müsste die Mindestreserve grob zwischen 127 und 246 Mrd. EUR liegen. Damit läge der Freibetrag für die Negativzinsen (das sechsfache der Mindestreserve) zwischen 762 Mrd. und 1,5 Bio, was den Anteil an den Kundeneinlagen auf 16,6% bzw. 10,6% reduzieren würde.

 

Bei Wikipedia findet sich übrigens noch folgende Ausage: "Früher waren die Überschussreserven sehr gering. In der Eurozone nahmen sie jedoch von 1,2 Mrd. Euro 2009 bis auf 2 816,7 Mrd. Euro November 2020 zu". Offensichtlich waren es hier nicht die Kunden, die in dieser Zeit Massen an Bargeld aus dem Nichts zur Bank getragen haben und so die Überschussreserven erhöht haben, sondern diese Beträge kamen anscheinend über die Liquiditätsprogramme der EZB, also aus dem Bankensystem selbst. Die Kunden können so auch die Überschussreserven in Summe gar nicht wesentlich erhöhen, es sind lediglich die Banken, die jetzt versuchen, sich die selbstgekochte heiße Kartoffel gegenseitig unterzuschieben. (Das wirft aber auch die Frage auf, warum die EZB überhaupt noch weiter Anleihen kauft, wenn doch anscheinend schon "zu viel" Zentralbankgeld vorhanden ist.)

 

Die Frage ist nun, sind diese Berechnungen halbwegs korrekt? Ich finde es gerade bei dieser Interbankenthematik schwierig, die Zusammenhänge korrekt zu verstehen bzw. die passenden Daten dazu zu finden.

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stagflation
· bearbeitet von stagflation

In meinem Text, den Du oben zitiert hast, ging es mir erst einmal darum zu zeigen, das Banken die Einlagen nicht einfach liegen lassen können (wie es manchmal im Internet behauptet wird). Sie müssen etwas machen mit den Einlagen.

 

Um die Kosten der Einlagen für die Bank im derzeitigen Niedrigzinsumfeld zu verstehen, müssen wir noch einen anderen Punkt betrachten. Die Bank hat für ihre Refinanzierung mehrere Möglichkeiten. Sie kann Einlagen nutzen. Sie kann aber auch Kredite aufnehmen.

 

Früher war es so, dass Banken Einlagen u.a. deshalb gerne genutzt haben, weil diese billiger waren als Kredite. Heute ist es andersherum. Solide Banken mit sehr gutem Rating bekommen (kurzlaufende) Kredite mittlerweile billiger als Einlagen auf zins- und gebührenfreien Giro- und Tagesgeld-Konten (EONIA -0.47%, EURIBOR 3 MONATE: -0.543%).

 

Eine Bank hat also folgende Wahl:

  1. Die Bank verwendet die Einlagen zur Refinanzierung - dann entstehen ihr Kosten, weil die Refinanzierung über Kreditaufnahme billiger wäre. Schlussfolgerung der Bank: Einlagen zurückdrängen und mehr über Kredite finanzieren. Oder: ein Verwahrentelt durchsetzen, damit die Einlagen nicht mehr teurer sind als Kredite.
     
  2. Die Bank refinanziert sich über Kreditaufnahme und versucht die Einlagen irgendwo zu parken (zum Beispiel bei der Zentralbank, bei Geldmarktfonds, bei Partnerbanken. s.o.). Dann muss sie aber Negativ-Zinsen bezahlen. Schlussfolgerung der Bank: Einlagen zurückzudrängen oder ein Verwahrentgelt durchsetzen, damit sie beim Parken des Geldes nicht draufzahlt.

Wenn Du versuchst herauszufinden, wie hoch die Kosten von Einlagen für die Bank tatsächlich sind, dann spielt der negative Einlagesatz sicherlich eine Rolle (Mindestrserve und Punkt 2). Ich vermute aber, dass Punkt 1 (Kreditaufnahme ist billiger als Einlagen) eine viel größere Rolle spielt. Es wäre in der Tat interessant, dazu fundierte Daten und Zahlen zu bekommen.

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Chips
vor 3 Stunden von Maciej:

In einem anderen Thread ist zum Thema Negativzinsen auf dem Tagesgeldkonto eingeworfen worden, die Banken reichen nur die Kosten durch den negativen Einlagesatz der EZB an die Kunden weiter, weil die das Problem mit ihren Einlagen angeblich verursachen. Mir scheint das (zumindest in Gänze) nicht so richtig stichhaltig, weshalb ich die Problematik aus Interbankensicht hier gern gesondert diskutieren würde.

 

Du meinst, jetz scheffeln die Banken das große Geld? 

Überleg mal, wie der Durchschnittsdeutsche tickt:

- 2% Habenzins: Naja

- 1% Habenzins: Naja

- 0,1% Habenzins: Naja

- 0,001% Habenzins: Naja

- 0% Habenzins: Naja, besser als bei Aktien zu zocken. 

- minus 0,000000001%. Wie reagiert da der Durchschnittsdeutsche?

 

 

 

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oktavian

Selbst wenn die Einlagen derzeit keinen Nutzen bringen, lohnt es sich langfristiger zu denken. Sehr stabile Einlagen sind auch eine Option auf steigende Zinsen. Als Bank würde ich schon versuchen wankelmütige Kunden loszuwerden und die stabilen Langfristeinlagen zu halten. Das Geschäftsmodell basiert darauf langfristigere Kredite zu vergeben, welche sie selbst kurzfristig finanzieren, aber Einlagen können statistisch durchaus langfristig sein, auch wenn die jeder Zeit abgezogen werden können. Also gute Einlagen reduzieren das Risiko.

 

Hier noch zur EZB mit den zwei Stufen: https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/geldpolitik/ueberschussreserven/zweistufiges-system-fuer-die-verzinsung-von-ueberschussreserven--811892

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Maciej
vor 18 Stunden von Chips:

Du meinst, jetz scheffeln die Banken das große Geld? [...] minus 0,000000001%. Wie reagiert da der Durchschnittsdeutsche?

Bin nicht ganz sicher, worauf du mit deinem Beitrag hinaus willst. Ein Gedanke, der mir dabei aber kommt: Die Gefahr eines Bankruns dürfte aktuell so niedrig wie noch nie sein. Sofern die obige Rechnung halbwegs stimmt, wären die Banken in der Lage, fast 1/4 aller Giralguthaben bar auszuzahlen. Aus Sicht der Banken, müsste so ein Mini-Bankrun sogar gewünscht sein, um einen Teil der Überschussreserven abbauen zu können. Das ist schon sehr skurril. ^_^

 

Auf finanz-szene.de gibt es es noch einen etwas älteren Beitrag zu den Negativzinsen speziell in Deutschland. Dort heißt es:

Zitat

 

Um die von Negativzinsen betroffene Überschussliquidität zu ermitteln, rechnen wir – jeweils auf volle Milliarden gerundet – Zentralbankguthaben plus Einlagefazilität minus Reservesoll.

Zentralbankguthaben? Letzter Wert: 517 Mrd. Euro (Quelle).
Einlagefazilität? Letzter Wert: 65 Mrd. Euro (Quelle).
Reservesoll? Letzter Wert: 38 Mrd. Euro (Quelle).

 

Warum gibt es hier Zentralbankguthaben und Einlagefazilität? Ich dachte alles, was über die Mindestreserve hinausgeht, ist Überschussreserve?

 

Zumindest kann man anhand der Daten eine neue Abschätzung über die Mindestreserve in der Eurozone vornehmen. Der M2-Anteil Deutschlands betrug Ende 2020 ca. 3,4 Bio. EUR.  In Relation zu den 13,7 Bio. EUR M2 in der Euro-Zone sollte die Mindestreserve in der ganzen Euro-Zone also bei 13,7 / 3,4 * 38 ≈ 153 Mrd. EUR liegen, was wiederum in der bereits oben geschätzten Spanne liegt. Die Größenordnung müsste also passen.

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